Glossar

Im Glossar werden Begriffe aus den Themenfeldern Rassismus, Antisemitismus, Rassismuskritik, Rechtsextremismus und allgemeinen Diskriminierungsformen erklärt. Falls Ihnen ein Änderungsbedarf auffällt, Sie eine Erweiterung oder Ergänzung haben, wenden Sie sich gerne über Kontakt an uns.
Das Glossar wurde teilweise von IDA-NRW und IDA e.V. erstellt.

Machtlosigkeit

Für die weiße US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young stellt Machtlosigkeit eine der fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung) dar. Für Young deutet Machtlosigkeit ein eigenständiges Kennzeichen struktureller Diskriminierung. Machtlos sind Young zufolge Menschen, über die Macht ausgeübt wird, indem sie Anordnungen befolgen müssen, die aber selbst nur selten in der Position sind, Macht auszuüben und Anordnungen zu erteilen. Machtlosigkeit schränkt die Möglichkeiten von Menschen ein, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und auszuüben, und geht mit einem Mangel an Achtung und Respekt den Betroffenen gegenüber einher (siehe auch Anerkennung).

Mit dem Begriff der Machtlosigkeit beschreibt Young den Umstand, dass strukturell diskriminierte Menschen in ihrer Lebensgestaltung in überdurchschnittlichem Maß fremdbestimmt und seltener in angesehenen Positionen vertreten sind, als Menschen, die der gesellschaftlichen Norm entsprechen. So sind beispielsweise BIPoC* unter Lehrer*innen und Frauen in leitenden Funktion in Wirtschaft, Verwaltung und Politik unterrepräsentiert.

Siehe auch Ausbeutung, Gewalt, Kulturimperialismus und Marginalisierung.

Marginalisierung

Marginalisierung bezeichnet die Verdrängung von Individuen oder Bevölkerungsgruppen an den Rand der Gesellschaft. Die Verdrängung kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen, also zum Beispiel geografisch, wirtschaftlich, sozial oder kulturell sein; meist spielt sie sich auf mehreren Ebenen gleichzeitig ab. Marginalisierung findet in einem Machtgefüge statt und geht mit Diskriminierung einher: Je weiter am gesellschaftlichen Rand sich eine Gruppe befindet, desto weniger Macht hat sie und desto stärker ist sie gegenüber der gesellschaftlichen „Mitte“ benachteiligt.

Die weiße US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young definiert Marginalisierung als Ausschluss von der Partizipation am sozialen Leben und als eine von fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung). Marginalisierung beinhaltet den Verlust von Ressourcen, Einflussmöglichkeiten sowie Status und kann sich auf die psychische und körperliche Gesundheit auswirken. Wenn es sich bei der marginalisierten Gruppe um eine Minderheit handelt, lässt sich in diesem Fall auch von Minderheiten- oder Marginalisierungsstress sprechen. Aber Marginalisierung betrifft nicht nur zahlenmäßige Minderheiten. So wird in einer patriarchalen Gesellschaft Weiblichkeit marginalisiert, obwohl Frauen keine Minderheit sind.

Siehe auch Ausbeutung, Gewalt, Kulturimperialismus und Machtlosigkeit.

Marginalisierungsstress

Der Minority Stress Theory zufolge geht die Zugehörigkeit zu einer strukturell marginalisierten Gruppe mit einer erhöhten Belastung durch Stressfaktoren wie Stereotype, Mikroaggressionen und Diskriminierung einher. Eine erhöhte und ständige Konfrontation mit diesen Stressfaktoren führt zu einem höheren Stresslevel, kann in chronischen Stress münden und damit die mentale und körperliche Gesundheit langfristig beeinträchtigen. Das Minority Stress-Konzept geht zudem davon aus, dass die Stressfaktoren Teil gesellschaftlicher Strukturen sind, Angehörige der Mehrheitsgesellschaft aber nicht mit ihnen konfrontiert werden.

Race-related Stress bezieht sich in diesem Kontext auf die negativen gesundheitlichen Folgen aufgrund rassistischer Diskriminierungserfahrungen.

Siehe auch Rassismus

Mehrheitsgesellschaft

Der Begriff Mehrheitsgesellschaft bezeichnet denjenigen Teil einer Gesellschaft, der wegen der Größe seines Anteils an der Gesamtbevölkerung oder seiner Machtposition die kulturelle Norm eines Gemeinwesens definiert und repräsentiert. Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sind gegenüber Minderheiten grundlegend privilegiert; sie besitzen eine allgemeine Definitions- und Deutungsmacht. Bei der Einteilung in Mehrheit und Minderheit können unterschiedliche Differenzlinien relevant (gemacht) werden. Jede Einteilung schafft aber eine symbolische Grenze und damit auch die Gefahr der Dichotomisierung. Darüber hinaus ist solch eine Kategorisierung untrennbar mit Prozessen der Homogenisierung und Essentialisierung verbunden.

Im Kontext von Machtverhältnissen sind jedoch nicht nur Mehrheits- und Minderheitenverhältnisse ausschlaggebend: So stellen z. B. Frauen, oder in bestimmten Altersgruppen auch Menschen of Color keine Minderheit dar, werden aber trotzdem benachteiligt oder diskriminiert. Sprachliche und konzeptuelle Versuche, dieses Verhältnisse darzustellen, sind Begriffe wie Dominanzgesellschaft, minorisiert oder marginalisiert.

Siehe auch Privilegien

Migrant:innenjugendselbstorganisationen (MJSO)

Migrant:innenjugendselbstorganisationen (MJSO) sind Migrant:innenselbstorganisationen (MSO), die von und für Jugendliche gegründet werden. Dabei müssen die Organisationen keine vorgegebene Rechtsform haben. Nicht alle MJSO sind als eigenständige Vereine organisiert oder besitzen eine Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe. Zum Teil handelt es sich (ggf. zunächst) auch um informelle Gruppen ohne formale Anbindung oder um eigenständige Gruppen innerhalb einer Erwachsenenorganisation (z.B. einer MSO). Die Mitglieder sind nicht notwendigerweise selbst migriert, sondern sind häufig in Deutschland geboren und fühlen sich durch ihren familiären Migrationshintergrund mit der MJSO verbunden. Insofern wird der Begriffsbestandteil „Migrant:innen“ nicht trennscharf verwendet. Neben dem Begriff MJSO findet auch der Begriff VJM für Verein(igung) oder Verband von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. familiärer Migrationsgeschichte Verwendung.

Migrant:innenselbstorganisationen

Unter Migrant:innenselbstorganisationen (MSO) werden Vereine, Organisationen und Zusammenschlüsse von Menschen, die über eigene Migrationserfahrung verfügen oder einen Migrationshintergrund zugeschrieben bekommen und sich dauerhaft und mit unterschiedlichen Zielen zusammenschließen. Das Spektrum der Vereine ist äußerst breit und reicht von religiösen bis zu politischen MSO, umfasst herkunftshomogene und herkunftsheterogene, zielgruppenspezifische (wie z. B. Frauenvereinen) oder zielgruppenübergreifende Organisationen. Für Organisationen, die von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gegründet werden, haben sich die Begriffe Verein oder Verband von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (VJM) oder Migrant:innenjugendselbstorganisationen (MJSO) etabliert.

Migration

Der Begriff Migration bezeichnet auf Dauer angelegte Wechsel des Wohnortes von Personen. Dabei kann es sich um Wanderungsbewegungen innerhalb eines Staatsgebietes (Binnenmigration) oder um eine Staatsgrenzen überschreitende Wanderungsbewegung handeln (internationale Migration). Es wird u.a. zwischen freiwilliger (z. B. Arbeitsmigration, Familienmigration, Altersmigration) und unfreiwilliger Migration (z. B. Flucht, Vertreibung, Sklaverei) unterschieden. Migration ist kein ausschließliches Phänomen der Moderne. Dass Menschen ihren Geburtsort oder das Geburtsland verlassen, gehört seit jeher zur Geschichte der Menschheit.

Migrationsandere

Der Begriff Migrationsanderegeht auf den Migrationspädagogen Paul Mecheril zurück und soll aufzeigen, dass Menschen entlang unterschiedlicher Aspekte, wie Staatsbürgerschaft, Mehrsprachigkeit, Aussehen, Religion usw. in Abgrenzung zum mehrheitsgesellschaftlichen „Eigenen“ als „Andere“ markiert werden. Obwohl bereits eine Vielzahl an Bezeichnungen, wie Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Migrationsgeschichte oder Menschen mit Migrationserfahrung existieren, betont keine dieser Bezeichnungen den Prozess der Andersmachung (siehe Othering) der bezeichneten Menschen. Dabei wird gerade in Abgrenzung zu Menschen mit Migrationshintergrund ein mehrheitsgesellschaftliches „Wir“ entworfen, das sich beispielsweise als frei von Migration versteht.  Im Gegensatz dazu wird mit dem Begriff Migrationsandere nicht nur deutlich, dass Menschen entlang bestimmter Merkmale zu „Anderen“ gemacht werden, sondern auch betont, dass Menschen erst aus einer bestimmten Beobachterperspektive heraus vom „Eigenen“ als „Andere“ abgegrenzt werden. Darin wird auch ersichtlich, dass die Bezeichnung Migrationsandere ein relationer Begriff ist, da das „Eigene“ nicht ohne das „Andere“ und umgekehrt begründet werden kann. So wird mit dem Begriff Migrationsandere eine gesellschaftliche Relation ausgedrückt, die von Differenz- und Dominanzverhältnissen gekennzeichnet ist.

Migrationsgesellschaft

Der Begriff Migrationsgesellschaft ist im Jahr 2004 von Paul Mecheril im Rahmen seines Entwurfs einer Migrationspädagogik geprägt worden. Er geht über die Begriffe der „Einwanderungs- oder Zuwanderungsgesellschaft“ hinaus. Denn im Gegensatz zu ihnen setzt Migrationsgesellschaft Nationalstaaten nicht als selbstverständliche nach außen abgeschlossene Bezugsgrößen von Migrationsphänomenen voraus. Dadurch schließt der Begriff Migrationsgesellschaft erstens ein weiteres Spektrum von historischen und gegenwärtigen Wanderungsphänomenen ein, z. B. Pendelmigration. Zweitens erfasst er Phänomene, die für Migrationsgesellschaften – also potenziell für die Erfahrungen aller ihrer Angehörigen – charakteristisch sind. Dazu zählen u. a. die Entstehung transnationaler sozialer Räume und Zugehörigkeiten, Hybridität, die Herstellung von Fremdheit (Othering), Alltagsrassismus, die Aushandlung von Grenzvorstellungen und Zugehörigkeitsordnungen. Drittens entzieht sich der Begriff Migrationsgesellschaft dem interessengeleiteten Zweck, das Prinzip der Nationalstaaten weltweit zu stabilisieren.

Siehe auch Migration, Nation, Nationalismus und Rassismus

Migrationshintergrund

Nachdem die Unterscheidung zwischen „Ausländer:innen“ und „Deutschen“ als unzureichend für die Beschreibung migrationsbedingter Diversität in der Bundesrepublik wahrgenommen wurde, ist mit dem Mikrozensusgesetz von 2004 der Begriff des „Migrationshintergrundes“ eingeführt worden. Das für die Durchführung des Mikrozensus zuständige Statistische Bundesamt erhebt regelmäßig, wer in Deutschland einen Migrationshintergrund hat, und definiert: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“.

Der Begriff zieht also unabhängig von der Staatsbürgerschaft der Betroffenen eine Grenze zwischen „normalen“ und „nicht normalen“ Deutschen. Mit anderen Worten bezieht er sich auf eine Norm, nämlich nicht migriert zu sein, und ermöglicht es, diejenigen zu markieren, die von dieser Norm abweichen. Nach der Einführung auf institutioneller Ebene hat sich der Begriff auch im alltäglichen Sprachgebrauch durchgesetzt, wenn deutlich gemacht werden soll, dass jemand vielleicht kein*e „Ausländer:in“ im staatsbürgerlichen Sinn ist, aber doch  von einer vermeintlichen Norm des „Deutschen“ abweicht. Auch Deutsche können also mit einem Migrationshintergrund betitelt werden, selbst wenn ihre Familie seit vielen Generationen in Deutschland lebt. D. h. spielen auch rassistische Vorannahmen aufgrund des Aussehens eine Rolle, die zu einem klassischen Othering Anlass geben.

Um Repräsentationsverhältnisse und rassistische Strukturen (bspw. in Führungspositionen oder in staatlichen Behörden) zu beschreiben ist das Konzept ebenfalls nicht hilfreich, da die rassistische Diskreditierbarkeit von Menschen unabhängig vom „Migrationshintergrund“ ist (bspw. gibt es Schwarze oder muslimische Deutsche, die der Definition zufolge keinen „Migrationshintergrund“ haben, aber Rassismus erleben). Deswegen werden Forderungen laut, statt des Migrationshintergrundes die Rassismus- bzw. Diskriminierungserfahrungen von Menschen zu messen.

Siehe auch Migration und Weißsein

Migrationspädagogik

Die Migrationspädagogik wurde zu Beginn der 2000er Jahre erstmals von Paul Mecheril als eine Perspektive auf das Verhältnis von Pädagogik und Migration systematisch dargestellt. Im Unterschied zu den kulturalisierenden Herangehensweisen der Ausländerpädagogik und Interkulturellen Pädagogik setzt die Migrationspädagogik „kulturelle Differenzen“ nicht voraus, sondern stellt die angenommene Naturhaftigkeit und die vermeintliche Unveränderlichkeit, die „Kulturen“ zugesprochen wird, sogar infrage. „Kulturelle Differenz“ wird nicht als selbstverständlich existenter Unterschied, sondern als Praxis des Unterscheidens betrachtet, auf die unter bestimmten Bedingungen Akteur:innen (z. B. Pädagog:innen) zurückgreifen. Migrationspädagogik befasst sich also damit, wie Ordnungen der Zugehörigkeit unter den bestehenden rassistischen Machtverhältnissen politisch, kulturell, juristisch und in Interaktionen hergestellt werden, innerhalb derer Menschen unterschieden und so positioniert werden, dass ihnen unterschiedliche Werte der Anerkennung und Möglichkeiten des Handelns zugewiesen werden. Aus dieser Beschäftigung leitet die Migrationspädagogik keine konkreten pädagogischen Handlungsvorgaben ab, sondern fordert dessen kontinuierliche Reflexion.

Siehe auch Kultur

Mikroaggressionen

Unter Mikroaggressionen werden die Folgen bewusster und unbewusster Akte verstanden, die durch offene und subtile Botschaften strukturell diskriminierte Menschen wiederholt und nadelstichartig verletzen, indem sie sie als abweichend von der dominanten Norm darstellen, stereotypisieren, entwürdigen und symbolisch ausschließen. Beispiele für Mikroaggressionen sind Alltagsrassismen.

Minderheit

MJSO

Moslem

Siehe Muslim:a

MSO

Multiplikator:in

Der Begriff Mutliplikator:in leitet sich vom lateinischen Wort multiplicare, deutsch: vervielfachen, ab und hat seinen Ursprung in der Arithmetik. In der Bildungsarbeit beschreibt er sowohl Personen als auch Institutionen, die bildungsförderliche Fachinformationen, Strategien und Kompetenzen weiter vermitteln bzw. Methoden anwenden und so zu einer Vervielfältigung des jeweiligen Wissensstandes und der Kompetenzen bei Teilnehmer:innen, Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen usw. beitragen. Andere Fachrichtungen, in denen der Multiplikator:innen-Begriff Verwendung findet, sind die Volkswirtschaft, die Werbung und die Digitaltechnik.

Muslim:a

Die Begriffe Muslim* und Muslima* bzw. der weniger gebräuchliche Begriff des Moslem bezeichnen Personen, die dem Islam angehören. Dabei sagt die Bezeichnung noch nichts über die Richtung des Islam (u. a. Alevit:innen, Schiit:innen, Sunnit:innen) oder den Grad der Religiosität aus. Einer oft zitierten Schätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2016 zufolge leben in Deutschland etwa 4,4 bis 4,7 Mio. Muslim*as. Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 5,4 bis 5,7%. Wie viele praktizierende Muslim*as genau in Deutschland leben, ist aufgrund unterschiedlicher Methoden der Befragung und Hochrechnung, fehlender statistischer Daten und Ungenauigkeiten bei der Erfassung der Religionszugehörigkeit aber nicht genau ermittelbar. Die genannte Schätzung des BAMF ist wahrscheinlich zu hoch, da auch nicht-gläubige Muslim*as als „Muslime“ markiert wurden bzw. sich als solche bezeichneten. Dies sagt einerseits etwas über die ethnisierende gesellschaftliche Wahrnehmung der Kategorie „Muslim“ aus. Wenn sich Menschen als Muslim*a bezeichnen, obwohl sie nicht gläubig und praktizierend sind, kann dies andererseits wiederum eine Reaktion auf Fremdzuschreibungen und Diskriminierungen als „Muslim“ sein kann.

Siehe auch Antimuslimischer Rassismus

Muslima

Muslimfeindlichkeit

Der Begriff „Muslimfeindlichkeit” wird häufig synonym zu „Islamfeindlichkeit” und „Islamophobie” verwendet. Im Rahmen des Konzepts der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) dient er seit 2016 dazu, um entsprechende Einstellungsmuster zu bezeichnen. Neben den Kritikpunkten, die auch auf die Begriffe „Islamfeindlichkeit” und „Islamophobie” zutreffen, ist er als unpräzise zu kritisieren, da sich feindselige Einstellungen und Handlungen nicht nur gegen praktizierende Muslim:as, sondern auch gegen Menschen richten, die als „Muslime” markiert werden.

 

Siehe auch Antimuslimischer Rassismus