Antipalästinensischer Rassismus ist ein neuer, teilweise strittiger und nicht etablierter Begriff. In der deutschsprachigen Wissenschaft ist er nicht verbreitet, sondern erscheint hauptsächlich in englischsprachigen Publikationen. In Deutschland wird er vorwiegend in der Bildungsarbeit und in aktivistischen Kontexten benutzt. Dort dient er allerdings häufig als Kampfbegriff, um Israel zu dämonisieren (Israelbezogener Antisemitismus) und Maßnahmen gegen Antisemitismus z.B. auf Veranstaltungen als Rassismus brandmarken zu können. Hinzu kommt, dass die Ab- und Eingrenzung schwierig ist. Denn er überschneidet sich vor allem mit Antimuslimischem und auch mit Anti-Schwarzen Rassismus. Zweifelhaft bleibt auch, ob er für Deutschland eine historisch-strukturelle Verankerung als spezifischer Rassismus gegen Palästinenser:innen beanspruchen kann (struktureller Rassismus). Jedoch machen Palästinenser:innen auch spezifische Rassismuserfahrungen und treffen auf daraus erwachsende spezifische Herausforderungen. Betroffene benennen diese Erfahrungen unter Umständen als Antipalästinensischer Rassismus. Beides würde für einen eigenen Begriff für Rassismus gegenüber Palästinenser:innen sprechen.
Vergleichbar mit anderen Rassismen ist, dass Palästinenser:innen im Antipalästinensischen Rassismus als unterlegen dargestellt werden. Antipalästinensischer Rassismus äußert sich v.a. in pauschalen Zuschreibungen antisemitisch, terroristisch, gewaltbereit, frauen- und queerfeindlich oder rückschrittlich zu sein. Die Folge davon kann sein, dass Palästinenser:innen allein für ihr Leid verantwortlich gemacht werden. Zudem ignorieren die genannten rassistischen Annahmen die tatsächlichen Ansichten der einzelnen Menschen, werten sie ab und entmenschlichen sie. Daneben können die genannten Zuschreibungen dazu beitragen, dass z.B. Demonstrationen von oder für Palästinenser:innen ohne Anhaltspunkte von Antisemitismus verboten werden und palästinensische Stimmen dadurch unsichtbar gemacht werden. Dies kann bei Palästinenser:innen zu dem Gefühl führen, dass palästinensischen Opfern im Israel-Palästina-Konflikt weniger Mitgefühl entgegengebracht werde und sie ihre Menschlichkeit unter Beweis stellen müssten: Beispielsweise indem sie aufgefordert werden, sich von der Terrororganisation Hamas zu distanzieren. Als weiteres Merkmal von Antipalästinensischem Rassismus werden Aussagen genannt, die Palästinenser:innen ihre spezifische kollektive (nationale) Identität absprechen. Dies kann geschehen, indem sie als Araber:innen oder Muslim:innen bezeichnet werden oder ihre Existenz als Gruppe mit einer eigenen kollektiven Identität gänzlich bestritten wird. Denn dies führt dazu, dass Palästinenser:innen als Gruppe unsichtbar gemacht und ausgelöscht werden und ihr Recht auf Selbstbestimmung bestritten wird.
Antipalästinensischer Rassismus überschneidet sich mit Nationalismus, weil viele Palästinenser:innen zu den Staatenlosen in Deutschland gehören. Staatenlos zu sein kann zur Folge haben, dass die Betroffenen von grundlegenden politischen und sozialen Rechten ausgeschlossen sind.