Glossar

Im Glossar werden Begriffe aus den Themenfeldern Rassismus, Antisemitismus, Rassismuskritik, Rechtsextremismus und allgemeinen Diskriminierungsformen erklärt. Falls Ihnen ein Änderungsbedarf auffällt, Sie eine Erweiterung oder Ergänzung haben, wenden Sie sich gerne über Kontakt an uns.
Das Glossar wurde teilweise von IDA-NRW und IDA e.V. erstellt.

Safe(r) Space

Safe Spaces sind Räume (physisch oder digital), in denen sich Personen sicher fühlen sollen, um dort ihre Diskriminierungserfahrungen zu teilen und sich gegenseitig zu empowern. Safer Space geht davon aus, dass es keine gänzlich sicheren Räume gibt. In Safe(r) Spaces können sich die Teilnehmenden akzeptiert und ernstgenommen fühlen.
Siehe auch Empowerment.

Schwarz

Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft, Schwarzen Menschen, Menschen dunkler Hautfarbe und People of Color. Der Begriff beschreibt nicht notwendigerweise die Hautfarbe, sondern die gemeinsame Position im gewaltvollen Machtgefüge der rassistischen Gesellschaft und die geteilten Erfahrungen des Rassismus. Der Begriff wird bewusst groß geschrieben, weil er auf die Positionierung in der weiß dominierten Mehrheitsgesellschaft verweist. Der Begriff ist emanzipatorischer Natur und aus der Widerstandsbewegung entstanden.

Seiteneffekt-Rassismus

In Anlehnung an Seiteneffekt-Diskriminierung bezeichnet der Begriff Seiteneffekt-Rassismus das Phänomen, dass institutionelle Diskriminierungen in einem sozialen Bereich zu institutionellem Rassismus durch Gleichbehandlung führen können. So können sich für rassistisch diskreditierbare Menschen aus einer Benachteiligung im Bildungssystem Benachteiligungen bei der Arbeitssuche, der Bezahlung und Karrierechancen ergeben, die dann zu Nachteilen bei der Wohnungssuche führen, bei der Vermieter:innen vermeintlich neutral Wohnungen nach der finanziellen Situation der Wohnungssuchenden vergeben. Über den Topos der „Ghettobildung“ wird dieser Prozess des institutionellen Rassismus auf kulturalistische Weise den Betroffenen angelastet, als freiwillige Selbstsegregation verschleiert und damit die gesellschaftliche Verantwortung der selbstverständlich Dazugehörigen ausgeblendet.

Sekundärer Autoritarismus

Unter sekundärem Autoritarismus wird das Phänomen verstanden, wenn Autoritarismus nicht mit der Unterwerfung unter eine Person einhergeht, sondern Menschen sich mit einer unpersönlichen Autorität identifizieren, die gleichzeitig Unterwerfung verlangt sowie Beherrschung und Teilhabe an ihrer Macht und Größe verspricht. Als solche Autoritäten können abstrakte Ideen und Kollektive auftreten, wie z. B. „die Wirtschaft“ oder „die Nation“.

Sekundärer Rassismus

Sekundärer Rassismus ist ein Begriff, den der Sozialarbeiter und Rassismusforscher Claus Melter eingeführt hat. Damit bezeichnet er die Abwehrhaltung rassistisch nicht diskreditierbarer Menschen dagegen, Rassismuserfahrungen zu thematisieren, Rassismus als gesellschaftliche Normalität anzuerkennen, sich mit Rassismusvorwürfen reflektiert auseinanderzusetzen und Verantwortung für ausgeübte Rassismen und die Unterbrechung von Rassismus zu übernehmen. Durch sekundären Rassismus setzen rassistisch nicht diskreditierbare Menschen ihre Wahrnehmung der sozialen Realität als verbindlich durch (siehe auch Weißsein, Privilegien und Dominanz). Auf diese Weise schaffen sie die Voraussetzung dafür, Ungleichverteilungen in der Gesellschaft rassistisch zu erklären, z. B. ethnisierend oder kulturalisierend. Sekundärer Rassismus äußert sich auf interaktionaler, institutioneller und gesellschaftlich-kultureller Ebene, z. B. wenn berichtete Rassismuserfahrungen geleugnet werden; wenn die Auseinandersetzung mit Rassismus als „zusätzliche“ Aufgabe anstatt als Teil von Professionalität und notwendiger Inhalt der pädagogischen Ausbildung verstanden wird; wenn öffentliche Diskurse vorherrschen, in denen Rassismus auf körperliche Gewalt reduziert, oder als Ausnahme von einer sonst nicht rassistischen Normalität verstanden wird. Im hinter dem Begriff stehenden Verständnis geht es nicht darum, Rassismusvorwürfe vor Kritik zu schützen, sondern darum, dass weiße Menschen sich ernsthaft, gründlich und präzise mit Handlungen und eingeschliffenen Handlungsmustern auseinandersetzen.

Siehe auch Farbenblindheit

Selbstzuschreibung

Unter Selbstzuschreibung wird das Selbstverständnis einer Person bezeichnet. Indem sich Individuen mit Identitätsangeboten und Zugehörigkeitsoptionen auseinandersetzen und sich diese aneignen, verorten sie sich selbst. Diese Selbstzuschreibungen konstituieren im Spannungsfeld mit Fremdzuschreibungen die eigene Identität. Selbstzuschreibungen speisen sich oft aus Fremdzuschreibungen, die internalisiert wurden. Wird das eigene Selbstbild durch rassistische und diskriminierende Fremdzuschreibungen dominiert, spricht man vom doppelten Bewusstsein. Individuen sind auf die wechselseitige Anerkennung ihrer Selbstzuschreibungen angewiesen. Marginalisierten Menschen werden jedoch Zugehörigkeiten oftmals verwehrt und die Anerkennung von Selbstzuschreibungen damit verweigert

Sexismus

Unter Sexismus wird jede Art der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts sowie die diesen Erscheinungen zugrunde liegende Ideologie verstanden. Sexismus findet sich in Vorurteilen und Weltanschauungen, in sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Regelungen, in Form faktischer Gewalttätigkeit (Vergewaltigung, Frauenhandel, sexuelle Belästigung, herabwürdigende Behandlung und Sprache) und in der Rechtfertigung solcher Gewaltstrukturen durch den Verweis auf eine „naturgegebene“ Geschlechterdifferenz. Der Problematisierung und wissenschaftlichen Aufarbeitung hat sich insbesondere die Frauenbewegung und -forschung mit Blick auf Stereotype und Strukturen gewidmet, die Frauen benachteiligen. Die Kritik von Sexismus bezieht sich heute auch auf sozial definierte Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse (siehe Gender).

Siehe auch Feminismus und Heteronormativität

Shoa

Der hebräische Begriff „Shoah“ (auch Shoa, Schoah, Schoa) bedeutet übersetzt so viel wie „Zerstörung“ oder „Katastrophe“. Damit wird in Israel, aber auch außerhalb die systematische Ermordung von rund 6 Millionen Jüdinnen:Juden in der Zeit des Nationalsozialismus benannt. Dies passiert auch in Abgrenzung zum Begriff „Holocaust“. Im Gegensatz zu diesem bezeichnet „Shoah“ ausschließlich die Ermordung der europäischen Jüdinnen:Juden durch die Nationalsozialist:innen. Aus diesem Grund wird der Begriff von anderen Opfergruppen des Nationalsozialismus meist nicht verwendet. Sinti:zze und Rom:nja beispielsweise bevorzugen teilweise den Begriff „Porajmos“.

Siehe auch Holocaust und Porajmos

Silencing

Silencing ist eine Praxis des Zum-Verstummen-Bringens und basiert auf einem Machtverhältnis und damit Unterdrückung. Dabei werden Bevölkerungsgruppen, Gesellschaften, Lebensweisen und Perspektiven zum Schweigen gebracht. Der Begriff stammt aus der Postkolonialen Theorie und bezeichnet die Tatsache, dass Menschen im Zuge der Kolonialisierung unterdrückt und ihrer Stimme beraubt worden sind (siehe auch epistemische Gewalt).

Silencing wird auch heute noch verwendet, wenn marginalisierte Menschen unterdrückt und nicht gehört werden. Gerade im Kontext der Auseinandersetzung mit und der Aufarbeitung von Diskriminierung (und im besonderen Rassismus) , kommt es vermehrt zu Tone Policing und Silencing-Versuchen, obwohl es eine wesentliche Voraussetzung für die Schwächung rassistischer Verhältnisse ist, die Stimmen von BIPoC* und anderen strukturell diskriminierten Menschen zu hören und anzuerkennen. Somit erhält Silencing rassistische Verhältnisse aufrecht.

Sinti

Sinti und Roma

Sinti:zze und Rom:nja

Sinti:zze und Rom:nja (oder Sinti und Roma) ist die kollektive Selbstbezeichnung einer wenige Hunderttausend Mitglieder umfassenden und stark ausdifferenzierten Minderheit in Deutschland. Sie ist seit dem Ende des 14. Jahrhunderts in Europa beheimatet und neben Dän:innen, Sorb:innen und Fries:innen in Deutschland als nationale Minderheit anerkannt. „Sinti“ ist als Selbstbezeichnung der deutschsprachigen Minderheit erstmals Ende des 18. Jahrhunderts belegt (Einzahl, männlich: Sinto; Einzahl, weiblich: Sintez(z)a oder Sintiz(z)a; Mehrzahl, weiblich: Sintez(z)e oder Sinti(z)ze). Seit dem ersten Internationalen Romani Kongress ist „Roma“ (Einzahl, männlich: Rom; Einzahl, weiblich: Romni; Mehrzahl, weiblich: Romnja) die offizielle Selbstbezeichnung. Sie umfasst zahlreiche Romani-Gruppen und wird daher – wie auch die Bezeichnung Sinti:zze und Rom:nja – auch von einigen abgelehnt, die stattdessen den eigenen Gruppennamen bevorzugen, wie z. B. Lowara, Lalleri oder Kalderasch. In Deutschland verweist sie außerdem auf Rom*nja südosteuropäischer Herkunft. Die stigmatisierende Fremdbezeichnung als „Zi.“ wird vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt, auch wenn sie von einigen Rom:nja zur individuellen und kollektiven Eigenbezeichnung verwendet wird. Doch selbst die Verwendung der kollektiven Selbstbezeichnung kann stigmatisierenden Charakter annehmen. Sinti:zze und Rom:nja sind vielfacher Diskriminierung ausgesetzt, die mit unterschiedlichen Begriffen benannt wird.

Siehe Antiromaismus, Antiziganismus und Gadje-Rassismus

Social Justice

Social Justice bezeichnet das politische Projekt einer gerechten Gesellschaft. Dafür ist laut den Anhänger:innen der Social Justice-Theorien das Analysieren und Hinterfragen von grundsätzlichen Macht- und Herrschaftsstrukturen genauso notwendig, wie die Anerkennung der eigenen Privilegien und der Diskriminierung anderer in diesem Bereich. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass Diskriminierung entlang vieler verschiedener (zugeschriebener) Kategorien (Differenzlinien) oft intersektional verläuft und deswegen alle Menschen in unterschiedlichen Situationen sowohl diskriminierend als auch diskriminiert sein können. Solidarität soll im Social Justice nicht anhand von Identifikationslinien funktionieren (etwa weil Personen ähneln oder ähnliche Interessen haben), sondern aus dem grundlegenden Verständnis der Gleichwertigkeit aller Menschen in ihrer Verschiedenheit resultieren.

Solidarität

Solidarität bedeutet, mit jemandem zusammenzuhalten und ihr*ihm beizustehen. Aus der Arbeiter:innenbewegung kommend, verweist der Begriff auf den gemeinsamen Kampf aufgrund gleicher Interessen und eines darauf beruhenden Zusammengehörigkeitsgefühls. Doch Menschen können sich auch für andere einsetzen, wenn sie sich nicht mit ihnen identifizieren können, etwa da sie keine Zugehörigkeiten teilen oder ganz andere Interessen oder Probleme haben. Das Konzept des Verbündet-Seins (auch Allyship oder Verbündetenschaft) versucht einen Solidaritätsbegriff zu etablieren, der unabhängig von gemeinsamen Gruppeninteressen, einer geteilten Identität oder paternalistischem Mitleid ist. Jeder Mensch hat andere Privilegien, die in unterschiedlichen Kontexten eine Rolle spielen. Sich dieser Privilegien bewusst zu sein, sich darum zu bemühen, sie zu teilen, und sie bewusst einzusetzen, um die Machtverhältnisse zu durchbrechen, auch wenn es mit Risiken wie dem Verlust eigener Privilegien einhergehen kann, bedeutet Solidarität im Sinne des Verbündet-Seins.

Siehe auch Critical Whiteness, Empowerment und Social Justice

Sozialdarwinismus

Sozialdarwinismus ist eine Ideologie, die Charles Darwins Lehre der natürlichen Auslese auf die menschliche Gesellschaft anwendet. So werden gesellschaftliche Randgruppen (z. B. Menschen mit Behinderung, Erwerbslose oder Wohnungslose) als minderwertig und die Gesellschaft belastend abgewertet und gesellschaftlich ausgeschlossen. Im Nationalsozialismus wurden ganze Bevölkerungsgruppen im Rahmen sozialdarwinistisch begründeter Eugenik ermordet. Sozialdarwinismus ist ein zentrales Element extrem rechter Ideologien. Er ist aber ebenso kompatibel mit der neoliberalen Vorstellung, wonach sich am Markt die Besten und Fähigsten durchsetzen.

Siehe auch Klassismus

Spätaussiedler

Seit dem 1. Januar 1993 bezeichnet man deutsche „Volkszugehörige” (nach § 4 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetzes), die die Republiken der ehemaligen Sowjetunion, Estland, Lettland oder Litauen nach dem 31. Dezember 1992 verlassen haben, als Spätaussiedler:innen. Diese müssen ein Aufnahmeverfahren durchlaufen und innerhalb von sechs Monaten einen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Um den Status Spätaussiedler:innen zu bekommen, müssen folgende Punkte erfüllt sein: Die Person muss: 1. seit dem 8. Mai 1945 oder 2. nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder 3. seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt , die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Großeltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlergebiete verlegt haben, seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte. Spätaussiedler:in ist gemäß Absatz 2 aaO auch ein*e deutsche*r Staatsangehörige*r aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatz 1 erfüllt und glaubhaft machen kann, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteilungen oder Nachwirkung früherer Benachteilungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag. Grundsätzlich muss jede Person, die den Status Aussiedler oder Spätaussiedler bekommen möchte, seit Juli 1990 mit einem Aufnahmeverfahren nach Deutschland einreisen.

Sprache

Für eine ernstgemeinte Rassismuskritik sind die Auseinandersetzung und ein sensibler Umgang mit Sprache außerordentlich wichtig. Denn Menschen zu kategorisieren und zu benennen ist ein Privileg, mit dem die Deutungshoheit über die „Realität“ einhergeht: Die Macht, seine Begriffe und Worte durchzusetzen, „die Anderen“ zu repräsentieren und zu „Anderen“ zu machen, bedeutet auch die Macht, bestimmen zu können, was wahr und was falsch ist (Definitionsmacht, siehe auch epistemische Gewalt und symbolische Macht). Zudem kann Sprache auf einer individuellen Ebene sehr verletzen, insbesondere da sie folgenden Aspekt der Macht verdeutlicht: „Ich darf dich nennen wie ich will, denn ich weiß genau wer du bist und du kannst nichts dagegen tun“. Eine rassismus- und darüber hinaus diskriminierungssensible Sprache hat also nichts mit Zensur zu tun, sondern bedeutet Rücksichtnahme und den bewussten Umgang mit dem Privileg der Deutungshoheit. Dies kann bedeuten, bei der Beschreibung von Menschen stets ihre Selbstbezeichnung anstatt von Fremdzuschreibungen zu nutzen.

Siehe auch Dominanz, Macht, Othering, Rassifizierung und Stigmatisierung

Stereotyp

Der Begriff wurde 1922 von Walter Lippmann für „vorgefasste Meinungen über soziale Gruppen” in die Sozialwissenschaft eingeführt. In der Psychologie bezeichnen Stereotype den kognitiven Aspekt von Vorurteilen. Stereotype sind Kategorisierungen oder Eigenschaftszuschreibungen, mit denen alltägliche Informationen über Menschen oder Sachverhalte wahrgenommen und im Gedächtnis gespeichert werden. Sie reduzieren Komplexität und vereinfachen die Realität, bieten aber auch Orientierung in einer von unüberschaubar vielen Informationen gekennzeichneten Welt. In der Gesellschaft weitgehend bekannte Stereotype zu kennen, bedeutet nicht notwendigerweise, dass ihnen auch zugestimmt wird.

Im kulturwissenschaftlichen Sinn sind Stereotype verallgemeinernde Zuschreibungen von Eigenschaften an sozial konstruierte Gruppen und diesen Gruppen zugeordnete Personen, durch die Personen auf wenige markante Merkmale reduziert und diese festgeschrieben werden. Die zugeschriebenen Eigenschaften können positiv und/oder negativ sein.

Siehe auch Stereotypisierung

Stereotype Threat

Der Begriff Stereotype Threat (deutsch: Bedrohung durch Stereotype) beschreibt den Effekt einer situativen Leistungsminderung. Er tritt auf, wenn Personen, die Teil einer Gruppe sind, über die es Negativstereotype gibt, versuchen diesen Stereotypen nicht zu entsprechen, aufgrund des dadurch erzeugten Drucks jedoch dennoch schlechtere Leistungen erbringen. Die beiden US-amerikanischen Sozialpsychologen Claude M. Steele und Joshua Aronson stellten sich im Jahre 1995 in ihrer Untersuchung zu den Ursachen für Leistungsunterschiede verschiedener Gruppen die Frage, warum Afro-Amerikaner:innen in IQ-Tests so viel schlechter abschnitten als weiß positionierte US-Amerikaner:innen. Hierzu wurden mehrere Schwarze und weiße Amerikaner:innen gebeten, an zwei identischen Tests mit unterschiedlichen Titeln teilzunehmen. Während ein Test keine Überschrift trug, wurde der andere als  diagnostisch im Hinblick auf Intelligenzdargestellt. Das Ergebnis zeigte, dass sich beim Test ohne Titel keine Leistungsunterschiede zwischen den beiden Gruppen ergaben. Beim Test mit Titel schnitten Afro-Amerikaner:innen durchschnittlich allerdings sehr viel schlechter als die weißen Testpersonen ab. Steele und Aronson führten diesen Effekt auf das Bestehen vorhandener negativer Stereotype zurück und bezeichneten dieses Phänomen als Stereotype Threat. Diese würden in Leistungssituationen (in der Untersuchung erzeugt durch den Titel) aktiviert und hätten schlechtere Leistungen zur Folge. Inzwischen belegen zahlreiche weitere Studien die Social-Threat-Theorie. So wurden parallele Social-Threat-Effekte für die Leistung von Frauen in Mathematiktests dokumentiert. Diese würden keine schlechteren Ergebnisse als Männer erzielen, entfiele der Druck des Geschlechterstereotyps (Sexismus). Zudem wirkt sich die Kenntnis der Hintergründe des Stereotype Threat ebenfalls positiv auf die Leistung strukturell marginalisierter Menschen aus.

Stereotypisierung

Unter Stereotypisierung wird der Prozess verstanden, durch den konstruierten sozialen Gruppen (siehe Rassifizierung) wenige, stark vereinfachte Eigenschaften (siehe Stereotyp) zugeschrieben werden. Ihnen zugeordnete Personen werden infolgedessen auf ihre zugeschriebene Gruppenzugehörigkeit und diese Eigenschaften reduziert werden. Dadurch werden sowohl Gemeinsamkeiten zwischen als auch Unterschiede innerhalb der konstruierten Gruppen verwischt. Durch Stereotypisierung wird das „Wesen“ der konstruierten Gruppen und der ihr zugeordneten Personen bestimmt und umgekehrt die zugeschriebenen Eigenschaften mit dem „Wesen“ der konstruierten Gruppen erklärt (siehe Biologisierung und Kulturalisierung). Zugeschriebene Eigenschaften und Verhalten werden also essentialisiert und naturalisiert.

Die „den Anderen“ zugeschriebenen Eigenschaften sind weder willkürlich noch zufällig. Sie leiten sich von den gesellschaftlich vorherrschenden Werten ab. Mittels Stereotypisierung können rassistisch nicht diskreditierbare Menschen also alles Abweichende und „Unnormale“ auf „die Anderen“ projizieren und auf diese Weise von sich abgespalten. Dadurch werden gesellschaftliche Normen durchgesetzt, die eigene Identität stabilisiert und symbolische Grenzen gezogen. Denn durch Stereotypisierung werden „die Anderen“ vollends zu absolut und wesenhaften „Anderen“ (siehe Othering). Dieser Prozess funktioniert unabhängig davon, ob die Stereotype positiver (Exotisierung, Idealisierung, Romantisierung) oder negativer (Dämonisierung) Natur sind.

Siehe auch symbolische Macht

Stigmatisierung

Der aus dem Griechischen stammende Begriff steht für „Mal, entehrendes Kennzeichen“. Stigmatisieren bedeutet, eine Person oder eine Gruppe in diskriminierender Weise zu kennzeichnen, indem ihr bestimmte, von der Gesellschaft als negativ bewertete Merkmale zugeschrieben werden und/oder sie mit Fremdbezeichnungen belegt wird. Dabei kann sich die diskriminierende Kennzeichnung auf sichtbare Merkmale (z. B. Hautfarbe, Geschlecht) oder unsichtbare Merkmale (z. B. Religion, Sexualität) beziehen.

Strategischer Essentialismus

Das Konzept des Strategischen Essenzialismus geht zurück auf die Literaturwissenschaftlerin und Mitbegründerin der Postkolonialen Theorie Gayatri Chakravorty Spivak und entstand in den 1980er Jahren im Zuge der kritischen Arbeiten der Subaltern Studies Group. Während der unspezifische Essenzialismus die Annahme bezeichnet, dass soziale Gruppen oder Kategorien ihnen innewohnende gemeinsame Charakteristika teilen, verwirft Spivak in ihrem Konzept des Strategischen Essentialismus diese Idee und ist sich der vielen unterschiedlichen Identitäten innerhalb einer Gruppe bewusst. So fordert Spivak die Annahme der Homogenität einer sozialen Gruppe zu hinterfragen und zu kritisieren, befürwortet allerdings aus strategischen Gründen eine bewusste Verwendung solcher Essentialisierungen, um in der politischen und sozialen Welt agieren zu können. Denn für marginalisierte Gruppen kann es in einigen Fällen ratsam sein, sich selbst vorübergehend zu essentialisieren, um bestimmte Ziele, wie z. B. Gleichberechtigung oder Sichtbarkeit, zu erreichen. Demnach kann der strategische Essenzialismus als eine Alternative zur hegemonialen und identifikatorischen Repräsentationspolitik verstanden werden. Spivak selbst hat aber schon 2008 Abstand von dem Begriff genommen, um damit gegen dessen Missbrauch durch nationalistische Bewegungen Stellung zu beziehen.

Struktureller Rassismus

Struktureller Rassismus bezeichnet den systematischen Ausschluss nicht-weißer Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen und -ebenen, wie beispielsweise sozialer, gesundheitlicher, wirtschaftlicher oder politischer Teilhabe. Dabei wird der Fokus nicht auf die Vorurteile einzelner Individuen gelegt, sondern Rassismus als ein tiefgreifendes, strukturelles Problem von Systemen oder Gesellschaften verstanden. Ein auf (Alltags-)Rassismus basierendes, gesellschaftliches Gewaltverhältnis zeichnet sich durch die Diskriminierung gegen Menschen und Menschengruppen und dadurch aus, dass Zugänge, Ressourcen und darauf aufbauend Privilegien ungleich verteilt sind. Bei strukturellem Rassismus greifen die interaktionale, institutionelle und gesellschaftlich-kulturelle Ebene von Rassismus ineinander.

Es gibt eine enge Verbindung von strukturellem Rassismus, Kolonialismus und Sklaverei, da anhand von historischen, rassistischen Denkfiguren immer noch die Normalität und die „Andersheit“ konstruiert und von der weißen Mehrheitsgesellschaft bestimmt wird. Für den deutschen Kontext ist zudem der Nationalsozialismus ein Beispiel für rassistische Kategorisierungen. Im Nationalsozialismus wurde einerseits offen biologistischer Rassismus diskreditiert, andererseits wurden aber völkische Vorstellungen von Zugehörigkeit gestärkt. Die Aufarbeitung beider Phänomene beeinflusst sich bis heute gegenseitig. Struktureller Rassismus muss deshalb auf der Mikro-, Meso-, und Makroebene bekämpft werden (Mikroebene = z.B. Individuum, Haushalt; Mesoebene = z.B. Institutionen, Parteien; Makroebene = z.B. Gesellschaft, Staat), um einen Einfluss auf das Wissen und die Handlungen des Einzelnen zu erreichen und einen Prozess der Rassismuskritik zu ermöglichen.

Siehe auch: Fremdenfeindlichkeit, interaktionaler Rassismus, Xenophobie, Dominanz, Othering, Rassifizierung, Stereotyp

Sunken Place

Der Sunken Place ist eine Phase in der Identitätsentwicklung strukturell marginalisierter Menschen, in der diese sich mit der hegemonialen gesellschaftlichen Gruppe identifizieren und die ihnen selbst zugeschriebenen Stereotype verinnerlicht haben. Daher tun sie alles, um diesen Stereotypen nicht zu entsprechen, und wirken bei der Unterdrückung anderer Menschen aus strukturell marginalisierten Gruppen mit, z. B. indem sie Assimilationsforderungen befürworten, hegemoniale weiße Schönheitsnormen übernehmen, selbst rassistische Witze gutheißen oder rassistische Fremdbezeichnungen für sich als unproblematisch einstufen (siehe auch Dominanz, Dominanzgesellschaft, Verinnerlichung). 

Der Begriff geht zurück auf den US-amerikanischen Horror-Film „Get out“ von Jordan Peele aus dem Jahr 2017. Im Film entdeckt der junge Schwarze Fotograf Chris, dass die Familie seiner weißen Freundin ihre Gehirne in vornehmlich Schwarze Körper verpflanzt, um weiter zu leben, während das Bewusstsein des Wirtskörpers im Sunken Place verbleibt. Dort ist es bei Bewusstsein, aber machtlos. Chris schafft es schließlich, sich aus der Gewalt der Familie zu befreien. Auf diese Weise setzt sich der Film mit dem Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft auseinander.

Siehe auch Woke 

Symbolische Macht

Unter symbolischer Macht versteht der britische Soziologe Stuart Hall die Macht „die Anderen“ zu repräsentieren, „zu kennzeichnen, zuzuweisen und zu klassifizieren.“ Rassifizierung und die ihr immanenten Prozesse der Kategorisierung und Stereotypisierung sind also Praktiken, mit denen nicht rassistisch diskreditierbare Menschen symbolische Macht ausüben. Hall bezeichnet diese Form der Macht auch als symbolische Gewalt.

Siehe auch Dominanz, epistemische Gewalt und Macht